Frau Mosebach

Frau Mosebach stand, wie jeden Abend, an ihrem Wohnzimmerfenster, sah hinüber auf die andere Seite und sagte zu ihrem Mann:


Da ist er wieder, der Herr Mai, ganz allein in seiner Wohnung. Er sitzt in seinem Sessel und starrt vor sich hin. Jeden Abend das gleiche traurige Bild.“ Frau Mosebach war Mutter durch und durch, doch seit ihre beiden Kinder ihrer Obhut entwachsen waren, fühlte sie ganz stark und immer stärker werdend, dass etwas fehlte. Sie verharrte an der Scheibe, die Stirn in Falten des Mitgefühls und schüttelte vor Sorge den Kopf: „Was meinst du, Paul? Komm doch mal schauen.“

Fußball auf dem Rasen

Das kann ich mir nicht mehr ansehen, das bricht mir das Herz“, antwortete Herr Mosebach mit einem Blick auf den Tabellenplatz seines Fußballclubs. Er saß, wie jeden Samstagabend, in seinem Sessel vor dem Fernseher, in dem die Sportschau lief und er alles andere um sich herum ignorierte. Sein Oberkörper war nach vorn gebeugt, das Gesicht gerötet, seine Pupillen waren verengt und seine Hände geballt. Seinem Fußballclub war er so treu wie er niemals einer Frau würde sein können. So jedenfalls pflegte er es manchmal auszudrücken. Im Scherz, wie Frau Mosebach dachte. Doch sein Verein verlor. Jede Woche. Jedes Spiel.

Frau Mosebach nickte. Sie spürte eine leichte Erschütterung in ihrer Brust. Ihr Blick hing weiter an Herrn Mai, dessen Kopf sich langsam nach unten senkte. „Niemand, mit dem er reden kann, niemand, der ihm zuhört. Wir sind doch seine Nachbarn, ich finde, wir sollten etwas unternehmen.“ Sie seufzte tief, bevor sie weitersprach: „Meinst du nicht auch, Paul?“

Wie oft willst du das denn noch sagen?“, wollte Herr Mosebach von dem Trainer seines Fußballclubs wissen, der auf dem Fernsehbildschirm erschienen war und die Leistung seiner Mannschaft zu erklären begonnen hatte. Frau Mosebach war gerührt. Sie spürte, wie ihr etwas Wasser in die Augen floss: „Du meinst, wir sollten das einmal genauer besprechen?“, hakte sie nach, ohne ihren Nachbarn dabei aus den Augen zu lassen. Herr Mosebach sprang aus seinem Sessel hoch und brüllte seinen Bildschirm an: „Hör doch endlich mit dem Gerede auf, das bringt doch nichts, du musst die Taktik ändern, verdammt noch mal, weißt du eigentlich, was hier auf dem Spiel steht? Hast du überhaupt kein Ehrgefühl? Nächste Woche will ich endlich einen Erfolg sehen!“

Frau Mosebach fuhr zusammen. Noch immer gab es diese Momente, die sie in ihrem Innersten mit einem Schmerz berührten. Momente, in denen ihr Mann seine Meinung seinen Mitmenschen und auch ihr mit dieser enormer Härte, mit schonungsloser Direktheit um die Ohren schlug. Im Laufe der gemeinsamen Lebensjahre war ihr jedoch bewusst geworden, dass die Wucht seiner Worte sie weniger traf, wenn es ihm nicht gelang, sie beim Sprechen mit seinen Augen zu fixieren.

Sie hatte gelernt, seinen Blicken zu entweichen. Und dennoch musste sie ihm in dieser Angelegenheit zustimmen. Manchmal galt es tatsächlich, die Dinge beim Schopfe zu packen, zu reagieren, etwas zu unternehmen, wenn eine Situation einen mit Sorge erfüllte. Und sie war immer eine Frau der Tat gewesen. Sie zog energisch ihre Gardinen vor dem Fenster zusammen, um den Blick von außen in ihr Wohnzimmer zu verbergen, schritt zur Tür, drückte im Vorbeigehen ihren Mann zurück in seinen Sessel und klingelte nur einen kurzen Moment später entschlossen an der Wohnungstür ihrer Nachbarin Frau Abendtau, um mit ihr einen spontan gefassten Entschluss zu besprechen.