Joachim Kuttenkeuler

Joachim Kuttenkeuler war, wie jeden Tag, in Eile, als er das Mittagessen für Herrn Mai brachte und vor dessen Haustür von Frau Mosebach angesprochen wurde.


Er war tagsüber Fahrer für „Restaurant auf Rädern“, einem Unternehmen, das Essen im Auto nach Hause lieferte. Nachts war er Sänger seiner Band „J4Ks“ und probte mit seinen vier Jungs selbstgeschriebene Stücke im Keller seiner viel verreisenden Eltern, wo er auch als erwachsener Mann noch immer mietfrei lebte.

Joachim Kuttenkeuler war, wie jeden Tag, in Eile, als er das Mittagessen für Herrn Mai brachte und vor dessen Haustür von Frau Mosebach angesprochen wurde. Er war tagsüber Fahrer für „Restaurant auf Rädern“, einem Unternehmen, das Essen im Auto nach Hause lieferte. Nachts war er Sänger seiner Band „J4Ks“ und probte mit seinen vier Jungs selbstgeschriebene Stücke im Keller seiner viel verreisenden Eltern, wo er auch als erwachsener Mann noch immer mietfrei lebte.

Ein Keller, indem er mit seiner Fender-AM-Elite-Gitarre (der Sattel aus synthetischem Knochen!) Lieder, die er Songs nannte, komponierte und spielte. Nächte, in denen er seine Gefühle hemmungslos offen in ein dynamisches Mikrofon brüllte und dabei - aus ästhetischen Gründen - die englische Sprache bevorzugte. Joachim hatte alles, was man zum Erfolg benötigte: Er sang, er spielte Gitarre, er war tätowiert, er trug Ohrringe auf beiden Seiten, er war bereit, gelegentlich Drogen zu nehmen und er trug einen Totenkopf auf seinen Shirts, der ihn unverwechselbar und dadurch zu einer Marke machte.

Seit Jahren wusste er sicher, dass für einen musikalischen Durchbruch nur noch dieser eine gewisse Song fehlte, ein Gassenhauer, ein Chartbreaker, ein „Money for nothing and chicks for free“–Youtube-Millionenklick.

Dieser Song war bereits ein Geist in seinem Kopf, lag ihm schon auf der Zunge, war ein Hauch in seinem Leben, den er unmittelbar spürte, wenn er nachts mit seinen 4Ks in seinem Keller bis zum Morgengrauen probte. Sobald er anschließend mit dunklen Rändern unter den Augen und verschwitzten Haaren in dem Auto von „Restaurant auf Rädern“ saß, gab er Gas, drückte die Hupe, parkte auch in dritter Reihe und sparte Zeit. Zeit, die er in gewisse Gespräche mit einigen seiner Kunden investierte.

Er nannte gern und detailliert eine Krankheit, von der er wusste, dass sie seine Kunden rührte und er sich dadurch ein ordentliches Trinkgeld sicherte. Frau Mosebach las nun das Namensschild auf seiner wattierten Firmenweste und sagte: „Herr Kuttenkeuler, Sie brauchen am Sonntag nicht mit Essen für Herrn Mai zu kommen, wir kümmern uns um ihn!“ Joachim nickte, er erkannte seine Chance, sah auf den Boden und flüsterte: „Verstehe, meine Eltern haben auch Alzheimer.“

Frau Mosebach schlug sich die Hand vor den Mund. Dass es so schlimm um Herrn Mai stand, hatte sie nicht gewusst, jetzt wurde ihr einiges klar. Der arme, alte Mann. Sie war dankbar, dass Herr Kuttenkeuler sich ihr anvertraut, das ganze Ausmaß dieser menschlichen Tragödie angesprochen und offengelegt hatte. Joachim lächelte müde, er spürte, dass da noch etwas kommen konnte und flüsterte: „Alzheimer lieben Musik. Ich spiele Gitarre.“

Frau Mosebach schossen Tränen in die Augen, sie kramte nach einem Taschentuch und einem Obolus, den sie in die kleine Tasche von Herrn Kuttenkeulers wattierter Weste steckte, sie sagte: „Herr Kuttenkeuler, Sie müssen am Sonntag für Herrn Mai spielen, ich bezahle Sie gern.“

Da Joachim nachmittags schlafen wollte, empfahl er ein kleines Konzert gleich am Morgen, eine Matinee nur für Herrn Mai zum Vorzugspreis und man verabredete sich zum Frühstück mit seiner Gitarre, aber ohne die 4Ks.