Wenn das Herz explodiert

 Es gibt viele Möglichkeiten, ein Herz zum Explodieren zu bringen.


Eine Möglichkeit ist die Fünf-Punkte-Pressur-Herz-Explosions-Technik von Pai Mei in Quentin Tarantinos „Kill Bill“, die sehr schwer zu erlernen ist. Und außerdem, das mag der Grund sein, warum Pai Mei sie niemandem verrät, fünf Schritte später beim Opfer tödlich endet. Es gibt auch weniger gefährliche Wege, ein Herz enorm in Bewegung zu setzen, mit Musik zum Beispiel.

Disco-Kugel spiegelt  blaue und violette Farbtöne

 

Davon gibt es sehr viel in „Kill Bill“. „Don´t let me be misunderstood“ ist ein Lied, das man vermutlich kennt, wenn man in den 70er Jahren auf einer Discotanzfläche rumgehüpft ist, ein glänzendes Synthetikhemd trug, sich in hüftenge Schlaghosen zwängte und blauen Lidschatten bis zu den Augenbrauen pinselte.

 

So wie Rod Stewart (yes, I think he was sexy!), der hat das Lied nicht gesungen, ist aber in der Musiksendung Disco aufgetreten, die man sich zu Hause ansehen konnte, wenn man für draußen noch zu jung war. Wobei, Rod Stewart trug keinen blauen Lidschatten, seiner war eher dunkelgrau.

Don´t let me be misunderstood“ ist der Song, der in „Kill Bill“ genau in dem Moment beginnt, als O-Ren Ishii ihre Holzsandalen auszieht, um in weißer Schneekulisse mit Black Mamba, die Braut, einen blutroten Kampf zu führen, bei dem nur eine, es ist die Braut, am Ende überleben wird. Man wird sich vielleicht an diese Bilder erinnern, wenn man der Discoflamencoversion von Santa Esmeralda lauscht.

Man kann aber auch fassungslos vor einem Radio stehen bleiben, so wie ich, wenn man zufällig eine völlig andere Version hört und erkennt, dass dieses Lied eine Seele hat, jedenfalls, wenn es von Nina Simone gesungen wird. Das war der Moment, in dem ich sofort losrennen musste, um gleich ein ganzes Album mit dem Lied darauf zu kaufen.

Runterladen wäre viel zu einfach gewesen, denn wenn einen ein Musikstück berührt, etwas im Inneren trifft, dann muss man darum kämpfen. In Hamburg geht das ganz besonders gut in der Innenstadt zur Weihnachtszeit. Das ist die Zeit, in der Menschen versuchen, sich auf dem Bürgersteig gegenseitig voranzurämpeln.

Eine Zeit, in der einem in überfüllten U-Bahn-Abteilen Rücksäcke an den Oberkörper gedonnert werden und man an die Tür gedrückt wird, bis die Nase platt ist. Eine Zeit, in der ich prinzipiell den Weg auf dem Fahrrad bevorzuge. Ich fahre dann die Mönckebergstraße entlang, also die übrig gebliebene schmale Spur zwischen den vielen überlangen Linienbussen zur rechten und zur linken Seite, immer in vollem Vertrauen darauf, dass die Fahrer gelegentlich in ihren Rückspiegel schauen.

Und wenn ich ein Lied unbedingt haben muss, dann renne ich sogar in dieses riesengroße Elektronikkaufhaus, das ich eigentlich meide, das aber immer alles auf Lager hat, auch Raritäten, sogar zur Weihnachtszeit. Also bin ich rein in dieses Kaufhaus, in dem die Verkäufer schon dadurch beeindrucken, dass sie sich unsichtbar machen können.

Verkäufer, die außerdem darauf geschult sind, einen mit ihren Augen zu erschießen, wenn man sie um Hilfe bittet. Ich brauchte zum Glück keine Hilfe, nur alle Rolltreppen bis ganz nach oben, eingezwängt zwischen hippelnden Elektronikfreaks und anderen aufgeregten Weihnachtskunden.

Es gibt sogar Menschen, die sich ohne erkennbare Logik plötzlich auf der Stufe vor einem umdrehen und einem einfach ins Gesicht atmen. Was mich betrifft, das war sofort vergessen, als ich endlich in der Musiketage und in der richtigen Kategorie vor dem Buchstaben S angekommen war.

Da habe ich mich breitbeinig hingestellt, weil das Kraft ausstrahlt und Macht und Platz schafft, was aber viele nicht verstehen und trotzdem angelatscht kommen, einem von rechts vor der Nase rumfuchteln, von links mit der Hand dazwischenfunken und man seine ausgewählten CDs energisch verteidigen muss.

Ich übe in solchen Momenten in Gedanken den Fünffingergriff von Pai Mei, weil ich quer grapschen missbillige und es mir die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammenzieht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich schließlich das Album wegen des Covers gewählt habe.

Ein Bild, auf dem Nina Simone so aussieht, wie ich mich gefühlt habe. Wie auch immer, ich habe es mir erkämpft und wer wissen möchte, wie es sich anfühlt, wenn einem ein Lied das Herz explodieren lässt, es ist ganz einfach: Feeling Good.