Schönheit ohne Zaubertrank

Es gibt Menschen, die wünschen sich einen Zaubertrank, um für immer hübsch auszusehen und etwas jünger bitte, so wie Helen Sharp und Madeline Ashton in dem Kinofilm „Der Tod steht ihr gut.“


Was mich betrifft, ich wünsche mir das nicht! Gut, es gibt Tage, da sehe ich in den Spiegel und entdecke eine gewisse Ähnlichkeit mit Helen Sharp. Ich meine die Szene, als sie aus dem Schwimmbecken kommt und sich in ihrem Bauch ein großes Loch befindet. Dieses Loch wurde ihr von Madeline Ashton hineingeschossen (Frauen können sehr direkt sein).

Was natürlich nicht heißen soll, dass sich in meinem Bauch ein großes Loch befindet. Bei mir ist es eher eine Delle, da wo andere den Bauchnabel haben, als wäre nach meiner Geburt jemand über meine Nabelschnur gestolpert und hätte sie versehentlich mitgezogen. Nur, darum geht es hier nicht. An diesen Tagen, also wenn ich feststelle, ich habe eine gewisse Ähnlichkeit mit Helen Sharp, sind meine Haare zu lang geworden und ich gehe zum Friseur. Das mache ich nicht besonders gern.

Es mag an einem Ereignis aus meiner Teenagerzeit liegen, als es nichts Wichtigeres in meinem Leben gab als die Frisur der Sängerin Kim Wilde. Eine Frisur, die ich nicht hatte, aber unbedingt haben wollte. Meine Eltern hatten prinzipiell nichts dagegen, waren aber als Fertighausratenabbezahler nicht bereit, Geld in einen Friseur zu investieren. Stattdessen wurde eine Jugendliche aus der Nachbarschaft zu einem Kaffee eingeladen, um mir bei einem geselligen Familienbeisammensein nebenbei die Haare zu schneiden.

Diese Nachbarin war eine Nachtlebenbegeisterte und Wohnstraßenschönheit und wollte eigentlich Fotomodell werden oder hübsche Ehefrau. Das ist aber nicht so leicht, wenn man Eltern hat, die aus dem politisch linken Arbeitermilieu stammen und sich im gesellschaftlichen Zwiebelmodell verdammt hart und unter großen Entbehrungen und so weiter hochgearbeitet haben. Natürlich alles nur, damit die Kinder es einmal besser haben.

Solche Eltern erwarten ohne Wenn und Aber, dass Kinder was aus ihrem Leben machen und einen soliden Beruf erlernen. Friseur zum Beispiel. Das Nachbarmädchen hatte gerade erst mit ihrer nicht gewollten Ausbildung begonnen, als sie nach einer durchzechten Nacht in unsere große Küche geschlichen kam und sich mit halb geschlossenen Augen und einer Vielzweckschere eine gefühlte Ewigkeit an meinem Kopf zu schaffen machte. Als sie fertig war und alle schwiegen, sagte sie zu mir: „Du hast Locken, da kann ich nichts dafür!“, und ging wieder nach Hause.

 

 

 

Meine Mutter legte das Poster von Kim Wilde, das sie zur Orientierung während des Schneidens hochgehalten hatte, wieder zusammen und sagte, bevor sie mir den Spiegel gab: „Keine Sorge, von hinten kannst du dich sehen lassen.“

 


 

 

Pop Art Frau mit gelben schulterlangen Haaren, blauen Augen, rotem Oberteil Perlenkette und Perlenohrring.

 

Jahre später stellte sich dann heraus, dass mein Haarschnitt noch sehr modern werden sollte. Vielleicht erinnert sich jemand an 1990, Fußballweltmeisterschaft. Und an die Frisur von Rudi Völler. Aber da waren meine Haare schon längst wieder gewachsen. Wenn ich heute in so einen Salon gehe, habe ich noch immer den heimlichen Wunsch, den Friseur zu fragen: „Haben Sie sich Ihren Beruf freiwillig ausgesucht oder wurden Sie von Eltern aus dem aufstrebenden linken Arbeitermilieu unter Druck gesetzt?“

 

Und sobald ich am Waschbecken sitze, habe ich noch einen Wunsch. Ich wünsche mir den ausziehbaren Hals von Madeline Ashton (die Frau mit dem Gewehr), um meinen schmerzenden Nacken zu entlasten. Ich möchte meinen Kopf am Becken ablegen und mit dem Körper ein paar andere Dinge erledigen oder einfach nur aufrecht und bequem sitzen.

Aber manchmal hab ich auch Glück, dann wird so ein Friseurbesuch zu einem unvergesslichen Augenblick. Wenn die Plätze zur rechten und zur linken Seite leer sind, wenn der Friseur in aller Ruhe seine Arbeit macht und im Hintergrund Musik erklingt. „Yesterday“ in einer mir bis dahin unbekannten Version von Ray Charles zum Beispiel.

Dann bin ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und weiß, das ist wahre Schönheit ohne Zaubertrank. Also die Musik von Ray Charles. Ich habe mir anschließend drei CDs von ihm gekauft und mein Lieblingslied ist „I believe to my soul“, irgendwie ein Liebeslied. Aber das ist ein anderes Thema.