Katja

Katja war eher pragmatisch in Sachen Liebe und Leidenschaft. Das heißt, sie trennte einfach beides voneinander, wenn sich eine Möglichkeit bot. Oder wenn sie sich eine Möglichkeit erhoffte.


Aber von vorn. Als Katja uns entgegengeeilt kam, da waren wir noch in der Regenzeit, es waren die letzten Tage, das heißt, meistens liefen Dorli und Liam und ich von unserem Eingeschossreihenhaus zu unseren Arbeitsbereichen. Nur Josh nicht, ihm war es egal, wenn er nass wurde. An einem dieser Tage waren Liam und ich gemeinsam auf dem Krankenhausgelände unterwegs, als Katja angerannt kam. Wobei, man müsste eher sagen, dass sie angeflattert kam. Sie war etwas in Hektik, lief in kurzen, schnellen Schritten und wedelte dabei mit den Händen, wie um abzuheben oder so. Sie kam also auf uns zu und stellte sich als neue Ärztin aus Deutschland vor, das heißt, sie stellte sich ganz besonders Liam vor.

Ich meine, sie flatterte ganz nah an ihn ran, lächelte und ich sah ihre Eckzähne, die hervorstanden. Und dann begann sie leise zu gurren! Wie soll ich es erklären, es war einfach blöd, dass ich vor dem Austauschjahr die „Rocky Horror Picture Show“ gesehen hatte. Gut, Katja hatte keine Ähnlichkeit mit „Frank N. Furter“ und war ganz anders angezogen. Sie trug ihre Krankenhausuniform und die hat sie auch anbehalten, als sie so an Liam dran war. Trotzdem, wenn sie: „Why don't you stay for the night or maybe a bite“, gesungen hätte, ich hätte mich nicht gewundert.

Comic: Frau in weißem Kittel mit geschlossenen Augen und Stehtoskop. Muskulöser, lächelnder Mann mit nacktem Oberkörper.
Katja

Es war eine etwas brenzlige Situation, aber ich wurde nicht ohnmächtig, ich meine, so wie „Janet“, als sie „Frank N. Furter“ das erste Mal im Fahrstuhl sieht. Nein, ich war nur besorgt um Liam, weil es ja um seinen Hals ging. Und mit seinem Scheitelhaarschnitt und der Brille sah er wirklich ein bisschen brav und ahnungslos aus, also so wie „Brad“ bei seiner Ankunft im „Schloss“. Liam gab Katja dann einfach die Hand und stellte sich höflich vor, aber mehr machte er nicht. Vermutlich war er in Gedanken bei seiner Arbeit im Labor, außerdem mochte Liam eher Frauen, die ein Band im Haar hatten, gern mit einer Schleife daran. Und Katja hatte kein Band im Haar.

Katja hatte aber einen Ehemann, und das war Henning. Henning war einen halben Kopf kleiner als sie und stand einen ganzen Schritt hinter ihr. Und von hinter ihr stellte er sich uns dann auch vor. Er hatte so schulterlange, dunkelblonde Haare und sein Hemd war bis zur Brust geöffnet. Er war gebräunt und sah ein bisschen aus wie ein Wellenreiter oder ein Fotomodell für Männerhalsketten. Er war aber Architekt, das heißt, das hatte er zumindest studiert. Nur, nach seinem Studium gab es in Deutschland keine Nachfrage nach Architekten oder nicht nach ihm als Architekten, da nuschelte er etwas. Jedenfalls, weil er keine Arbeit hatte, war es auch kein Problem für ihn gewesen, mit Katja ins Ausland zu gehen. Er wollte die Zeit nutzen, um sich ein wenig umzusehen und Eindrücke zu sammeln, so rein als Architekt.

Und als Ärztin war es für Katja einfacher, an einen Job im Ausland zu kommen, zumindest in Ländern, die medizinisch gesehen unterversorgt waren, wo also dringend Ärzte benötigt wurden. In dieser Hinsicht war sie auch ganz entschlossen, also wenn es um ihre Arbeit im Ausland ging. Das sagte sie am folgenden Wochenende auf ihrer Begrüßungsparty zu Dorli, dass sie sich zwar gut vorstellen konnte, auch in einem anderen Land in Afrika als Ärztin zu arbeiten, aber nicht mehr in Deutschland. In Deutschland wollte sie nie wieder im Krankenhaus arbeiten, auf keinen Fall. Und irgendwann später am Abend sagte sie dann noch, dass in Deutschland Krankenschwestern schon mehr zu sagen hatten als Ärzte und dass sie das unmöglich fand. Aber das hörte Dorli zum Glück nicht, ich meine, das hätte echt was ganz Großes werden können, so vom Konflikt her.

Henning dagegen war meistens still, wenn Katja redete, aber auch, wenn man ihn mal allein oder in Gesellschaft mit anderen traf. Und vielleicht war ihm das ja auch egal, was Katja sonst so machte. Jedenfalls, Liam reagierte überhaupt nicht auf sie, auch nicht, wenn sie ihn auf dem Krankenhausgelände sah und: „Juhuu, Liam!“, rief und auf ihn zu flatterte und auf ihn einredete. Er sprach noch nicht einmal über sie, wenn wir mal so unter uns in unserer internationalen Wohngemeinschaft am Gemeinschaftstisch unter dem Ventilator saßen und über dies und das plauderten und dabei ganz zufällig Katjas Name fiel. Dorli vermutete sogar, dass Liam gar nicht verstand, was er bei ihr für Möglichkeiten hatte.

Aber, wie gesagt, Katja war mit Henning verheiratet und hat auch irgendwann mal von Liebe und so gesprochen. Und es wusste natürlich keiner von uns, wie das zwischen den beiden war, wenn sie allein waren. Vermutlich gefiel es Henning sogar, dass Katja ein Mensch war, der gern das Sagen hatte. Ich meine, sie wusste immer ganz genau, wann was zu tun war, also nicht nur, wenn es um ihre Arbeit ging. Aber erstaunt war ich trotzdem, als sie mir dann drei oder vier Monate später erzählte, dass sie mit Henning wieder nach Hause fliegen würde. Für kurze Zeit zumindest und nur wegen der besseren medizinischen Versorgung.

Ich meine, sie freute sich wirklich, als sie mir verriet, dass sie schwanger geworden war, so wie sie es mit Henning genau geplant hatte. Und dann lächelte sie wieder und ich sah ihre Zähne. Aber gefragt habe ich nicht, echt nicht, das habe ich mich nicht getraut. Obwohl es mich schon interessiert hätte, na ja, also ob sie Henning eventuell gebissen hat.