Liz

Liz hat von Liebe gesprochen. Wirklich, sie hat uns das Wort sogar direkt ins Gesicht gesagt!


Und ich habe ihr das in dem Fall sofort geglaubt. Aber es gab auch keinen anderen Fall, das war ja die Sache. Das heißt, es hat natürlich niemand erwartet, dass sie in unserer Gegenwart von Liebe spricht, das wirklich nicht. Es war einfach ihre Ausstrahlung. Also, egal wann man ihr ins Gesicht gesehen hat, die Mundwinkel hingen immer nach unten. Es sah aus, als würde etwas in ihr drücken, etwas, das aus ihr raus wollte, schlechte Laune zum Beispiel. Oder was Übles in ihrem Magen.

Aber vielleicht hatte sie auch einfach zu viel zu tun. Liz war unsere Kontaktperson während des Austauschjahres. Sie kam aus Freetown, genauso wie ihr Mann, und da lebten die beiden mit ihren zwei Kindern in einem Haus auf einem Hügel. Sie organisierte unseren Aufenthalt, also die Camps und die Praktikumsplätze und was es sonst noch zu tun gab. Außerdem führte sie mit ihrem Mann ein Unternehmen, und das war bestimmt viel Arbeit. Wobei, für zu Haus hatten sie einen Angestellten, so zum Putzen und Einkaufen und Kochen für die Kinder.

 

In den ersten Tagen unserer Ankunft wohnten wir auch in ihrem Haus, bevor wir dann in das Camp an den Strand fuhren. Wir blieben da, bis alle, die an dem Austauschjahr teilnahmen, angekommen waren. Jule aus Berlin zum Beispiel. Sie kam zwei oder drei Tage nach Tuula und Frizzi und mir und deswegen konnten wir auch zusehen, wie sie aus dem Auto stieg, mit dem sie vom Flughafen abgeholt worden war. Sie rannte auf Liz zu, als würden die beiden sich schon ewig kennen, so wie alte Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben. Liz stand wartend vor der Haustür und hielt die Hände auf die Hüften gestützt. Jule rannte also auf sie zu und wollte sie zur Begrüßung umarmen, prallte aber an dem ziemlich kräftigen Körper von Liz ab, wich zurück und sah ganz schön irritiert aus.

 

Frizzi vermutete später, als wir in unserem Zimmer zusammensaßen, dass es möglicherweise was Kulturelles war, also dass Liz niemanden umarmte, nicht mal ihre eigenen Kinder. Zumindest nicht in unserer Gegenwart. Jule war trotzdem von ihr begeistert, weil Liz eine Geschäftsfrau war. Jule erzählte uns, dass es in Afrika sogar ein richtiges Matriarchat gab, sie wusste nur nicht genau wo. Ich hatte davon noch nichts gehört. Aber vielleicht war es ja auch gar nicht in Afrika, sondern in Südamerika oder irgendwo in der Südsee vielleicht. Jedenfalls sollte es ein Land geben, das von Frauen regiert wurde - oder wo Frauen zumindest das Sagen hatten. Und als Jule uns davon erzählte, da flüsterte sie und ihre Augen strahlten, als wäre das ein Paradies. Auf jeden Fall besser als alles, was es sonst so gab und als würde sie sich das auch wünschen, für die ganze Welt oder erst mal für Europa oder zumindest für Berlin.

Jedenfalls, Liz führte mit ihrem Mann zusammen ein Taxiunternehmen. Wobei, vielleicht war ihr Mann auch bei ihr angestellt, weil sie die ganz wichtigen Geschäfte selbst übernahm und von ihrem Wohnzimmer aus führte. Das heißt, abends kamen die Taxifahrer, stellten sich nebeneinander vor ihr auf und gaben ihr nacheinander das Geld, das sie am Tag verdient hatten. Liz saß dabei auf ihrem Sofa, zählte die Scheine und hielt jedem eine Standpauke. Gut, es verstand natürlich keine von uns ganz genau, worum es ging, aber freundlich hörte sich das nicht an, echt nicht und die Männer hielten alle ihren Kopf gesenkt, bis sie wieder gehen durften. Jule war einmal dabei und verließ am nächsten Abend rechtzeitig mit uns das Zimmer, aber nur, weil sie plötzlich eine Postkarte oder in ihr Reisetagebuch schreiben musste.

Und sie erklärte uns, warum Liz so war. Jule war vor dem Abflug in Berlin noch auf so einem gesellschaftspolitischen Seminar gewesen und deswegen wusste sie ganz genau, wie schwer es für Frauen war, sich in einer Männerwelt durchzusetzen, also wenn es um Geschäfte ging. Erst recht, wenn sie dann noch Kinder hatten. Und außerdem, da war Jule sicher, war das die Folge von Armut im Land und Unterdrückung durch die Industriestaaten, dass Liz so war. Ich war mir da nicht so sicher, hab dazu dann aber nichts gesagt. Tuula dagegen hat laut gelacht, sie hatte nämlich eine ganz andere Vermutung. Tuula meinte, dass Frauen und Männer gleich sind, also wenn´s ums Geschäft geht. Ich glaube, Liz war wirklich gestresst, denn nach unserem Camp am Strand, da flog sie mit einer Freundin nach London, um sich zu erholen und zum Shoppen und so.

Ein schwarzer Radiorekorder mit hochgestelltem Tragegriff und ausgefahrener Antenne.

Josh und Liam und Dorli und ich waren dann ja in Lunsar und hatten eigentlich gar nichts weiter mit ihr zu tun. Bis auf das eine Mal, als sie uns ein paar Monate später besuchen kam, um zu sehen, wie es uns in unseren Projekten im Krankenhaus so ging. Wobei, eigentlich sprach sie nur mit der Krankenhausleitung, aber danach kam sie auf ein Glas kaltes Wasser vorbei. Das heißt, wir saßen unterm Ventilator an unserem Gemeinschaftstisch in unserer internationalen Wohngemeinschaft und der Kassettenrekorder lief, wie immer, wenn wir Strom hatten.

Und dann haben wir so von unseren Erlebnissen erzählt. Josh von seinem Leben in der Hütte, Liam von seinen Stuhlproben im Labor, Dorli von den kranken Kindern und ich von der Arbeit mit Schwester Valeria. Liz trank dabei ihr Wasser, hörte aufmerksam zu, ohne auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen, und nickte mit dem Kopf.

Nein, sie wippte, da war ich mir später sicher. Schließlich stand sie auf, das war, als „Nothing Compares 2U“ von Sinéad O'Connor zum zweiten Mal spielte. Das erste Mal spielte das Lied, als Liz gekommen war. Und deswegen wussten wir auch ziemlich genau, dass sie 90 Minuten bei uns geblieben war. Das war Liebe!

Sie hat mit dem Kopf gewippt und uns zum Abschied versichert: „I love your Musik!“ Ich hab ihr das geglaubt. Ganz ehrlich. Wobei ..., nein, vermutlich ist das einfach so, dass manche Menschen aussehen, als wenn sie was von innen drückt. Ich meine, selbst dann, wenn sie von Liebe sprechen.