Man kann die Auf- und Abbewegung eines Kolbens durch ein Gestänge und ein Getriebe in eine Drehbewegung umwandeln. Nein, ich fange anders an!
Feuer ist eine Form der Verbrennung mit Flammenbildung, bei der Licht und Wärme entstehen. Das Feuer kam, folgt man einer alten griechischen Mythologie, auf eine ganz besondere Weise zu den Menschen auf die Erde. Prometheus, ein Riese in Menschengestalt, zum Göttergeschlecht der Titanen gehörend, stahl es dem Göttervater Zeus. Er bestahl ihn, sicher wissend, dass dieser Diebstahl - zumal unter Göttern - nicht unentdeckt bleiben konnte, dass die Strafe für sein Handeln hart sein würde. Und tatsächlich, Zeus, Herrscher des Olymps, ließ Prometheus, kaum hatte er dessen Verrat entdeckt, an einen Felsen binden, doch damit nicht genug. Er schickte ihm einen Adler. Dieser Adler flog auf den Bestraften zu, krallte sich an dessen Brustkorb fest, stieß mit dem Schnabel in den hilflosen Körper hinein und fraß ein Stückchen Leber. Der Gefesselte wird - auch als Titan - einen ordentlichen Schmerz empfunden haben. Immerhin, das ihm herausgefressene Stück Leber wuchs nach und seine Wunde verheilte. Glück gehabt.
Zumindest bis zum nächsten Tag. Der Adler kam ein zweites Mal, hackte wieder in den Körper, fraß ein Stück Leber und die Wunde verheilte erneut. Das Tier kam auch am dritten und am vierten Tag, es kam von nun an täglich. Und diese Wiederholung dürfte - unter Titanen - die eigentliche Grausamkeit der Bestrafung gewesen sein! Es ging so weiter über viele Jahre, wenn man einigen Überlieferungen glauben darf, sogar über einige Jahrzehnte. Zeus muss angesichts dieser Strafe außerordentlich erbost darüber gewesen sein, dass Prometheus es gewagt hatte, ihn zu bestehlen. Dass er es gewagt hatte, das verbotene Feuer seinen Freunden, den Menschen, zu schenken. Dieses Feuer, davon darf man ausgehen, muss also ein ganz besonderes Geschenk gewesen sein!
"Glaubst du, dass der Wind weht, weil irgendjemand sagt, Wind weh jetzt? Glaubst du das? Glaubst du das?"
Man stelle sich vor, im 18ten Jahrhundert sitzt ein junger Mann Anfang zwanzig an einem Tisch. Er muss schreiben, er ist aufgewühlt, bewegt, eine Strömung hat
ihn erfasst, reißt ihn mit. Es drängt ihn wie viele junge Menschen seiner Zeit aus bestehenden, aus maroden Verhältnissen, aus Abhängigkeiten heraus. Etwas stürmt im Inneren, ruft nach
Veränderung, nach Unabhängigkeit, sein Herz brennt, sein Blick richtet sich zum Himmel. Der junge Mann, ein Dichter, mag in diesem Moment Prometheus vor Augen haben. Diesen Rebellen, der den Mut
besaß, sich gegen Zeus, gegen den Herrscher des Olymps zu erheben. Der Dichter, mit Namen Johann Wolfgang Goethe, gibt Prometheus eine Stimme, er lässt ihn sprechen: „Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei? Hast du's nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz?“ Der Sturm, der in ihm tobt, bricht aus ihm heraus, er schreibt eine Ode, eine kunstvolle Dichtung. Er schreibt, hält
fest, streicht durch, schmeißt weg, schreibt weiter. Seine Worte strahlen die Hitze seiner Seele wieder, eine Hymne wie Glut, aus der Funken sprühen. Funken, die sich verteilen, die leuchten.
Eine kleine Flamme flackert auf, wird hell und erlischt. Die Worte verhallen, aus Glut wird Asche. "Sturm und Drang", die Bewegung, die Goethe erfasste, in der er eine Weile schwamm, sich
mitreißen ließ, zerfällt, löst sich auf in den Veränderungen der Zeit. Und doch, das eigentliche Feuer, dem jene Flamme entsprang, es brennt weiter! Es brennt in den Köpfen erst einiger weniger
wacher Geister. Es schleicht in Studierzimmer hinein, sucht sich seinen Weg über Marktplätze hinweg, lodert in Forschungsstätten, knistert auf Theaterbühnen, fegt durch Gassen, huscht über
Felder, überwindet Grenzen, leise raschelnd, vom Wind getragen, unaufhaltsam. Es zieht wie ein Flüstern von Mensch zu Mensch, nisted sich ein in Gedanken, Ideen entwickeln sich zu Theorien,
Fragen suchen nach Antworten. Der Mensch kann, sagen Stimmen laut und lauter werdend, lernen und verstehen, er kann sich aus Abhängigkeiten befreien und ein selbstbestimmtes Leben
führen.
Man darf unterstellen, dass es für uneingeschränkte Herrscher, unabhängig von Zeit und Ort, kaum etwas Schmerzhafteres geben mag als die Erkenntnis, an Bedeutung zu verlieren, sich der eigenen Ersetzbarkeit bewusst zu werden. Dieser tiefe, tägliche Schmerz, ohne Instrumente und Befugnisse, ohne Vorteile und Privilegien der Herrschaft nicht mehr als ein Mensch wie alle anderen zu sein. Ein Schmerz ähnlich dem des rebellischen Titanen, den Tag für Tag ein Adler aufsuchte, um ihm mit seinem spitz zulaufenden, gebogenen Schnabel tief in seine gerade erst verheilte Leber zu hacken, um davon zu fressen. Die Veränderungen, die den jungen Dichter Goethe berührten, sind nicht mehr aufzuhalten, sie drängen voran. Hier wird geforscht, da wird gelehrt und an einem anderen Ort der Erde bastelt ein Mann an einem Konstrukt.
Er bastelt seit Jahren, doch seine Bastelei funktioniert nicht, etwas fehlt noch, er kommt nicht drauf. Wieder so ein Tag, erkommt nicht voran. Er grübelt, läuft umher, er überlegt, starrt auf seine Entwicklung, denkt nach. Was kann es sein? Was übersieht er? Er will etwas Warmes trinken, setzt einen Kessel mit Wasser auf seinen Ofen und wendet sich wieder ab, es dauert, bis das Wasser heiß ist. Er läuft wieder umher, bleibt stehen, betrachtet sein selbstentwickeltes Modell. Man kann die Auf- und Abbewegung eines Kolbens durch ein Gestänge und ein Getriebe in eine Drehbewegung umwandeln. Aber wie, er grübelt, den Kolben dauerhaft in Bewegung setzen? Sein Wasser kocht, der Deckel klappert, heißer Dampf drängt aus dem Kesselinneren nach oben. Der Tüftler staunt, er starrt den Kessel an, beobachtet das Hüpfen des Deckels. Er hat die Lösung vor Augen! Es ist der heiße Dampf, der Dampf bewegt den Deckel, mit heißem Dampf will er versuchen, den Kolben in Bewegung zu setzen, aus seinem Konstrukt eine Dampfmaschine machen. Und tatsächlich, es klappt, seine Dampfmaschine funktioniert! Sie wird, er kann es nicht wissen, nicht einmal ahnen, die Welt verändern. Es beginnt die Industrialisierung, es beginnt die Umwälzung der Welt.
Knappe zweihundert Jahre später blickt ein Mann mittleren Alters auf ein Blatt Papier. Man stelle sich vor, er sitzt an einem Schreibtisch, drückt auf die Tasten seiner Schreibmaschine, er schreibt, hört auf, reißt das Papier heraus, schmeißt es weg, spannt das nächste Blatt ein, beginnt von vorn. Seine Worte strahlen die Hitze seiner Seele wieder, diese Glut in seinem Kopf. Er reißt auch dieses Papier heraus, zerknüllt es, schmeißt es auf den Boden. Die Stimmen sind nicht verhallt. Herrschaftsformen wurden gestürzt, neue haben sich formiert. Doch die Stimmen der Vernunft sind nicht verhallt. Sie haben sich verteilt, hier aufgelöst, dort neu zusammengefunden, sie bewegen sich wie feine Wasserkristalle durch die Atmosphäre, Kristalle, die sich verbinden, zusammenwachsen, schwer werden und zurück zur Erde drängen, sich ergießen und verbrannte Erde neu zum Blühen bringen: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Der Mann sitzt an seinem Schreibtisch, an seiner Maschine, er grübelt: Ist der Mensch frei, wenn allein der Körper frei ist? Befreit aus Gefangenschaft? Ist der befreite Mensch frei, wenn die Seele während der Gefangenschaft zugrunde ging? Glaubst du das? Glaubst du das? Er schüttelt den Kopf, steht auf, zündet sich eine Zigarette an, geht ans Fenster, raucht. Er starrt hinaus. Die Industrialisierung, die Technik hat die Verhältnisse, hat die Welt verändert. Maschinen verändern die Arbeit, die Arbeit verändert das Leben. Er öffnet das Fenster, holt tief Luft, sieht hinaus: Und nun, Mensch?
Er verharrt eine Weile, setzt sich wieder an seinen Tisch, spannt das nächste Blatt ein. Er ist bleich. Die Seele des Menschen. Dieser Mann, ein Schriftsteller namens Albert Camus, er sitzt da, er starrt vor sich hin. Die Seele des Menschen muss frei sein! Und dann, man stelle es sich vor, hat er ein Bild vor Augen, eine Erscheinung. Er sieht Prometheus, jenen Riesen in Menschengestalt. Diese Jahrtausende alte Figur der griechischen Mythologie. Den Titanen, der den harten Felsen erträgt, der den beißenden Adler aushält. Der Schriftsteller sieht ihn vor sich, diesen Rebellen, beharrlich, beharrlich in Blitz und Donner des zornigen Zeus. Und er sieht ihn lächeln! Und Albert Camus schreibt: „Prometheus war jener Heros, der die Menschen genügend liebte, um ihnen zugleich Feuer und Freiheit, Technik und Kunst zu schenken.“ Und jetzt schlägt er auf die Tasten, schneller werdend, die Kunst, Flamme der Kultur, er trägt sie weiter.
Die Tastenhebel schnellen vor, Tinte schlägt auf das Papier, ein fester Stoff, Gedanken werden zu Worten, fließen aus ihm heraus. Fließen im Strom der Aufklärung, noch immer, es ist ihm, als könne er die Stimmen hören, die Stimmen der Vernunft, die beleben, die ermutigen, die sich an schlagenden Herzen reiben, bis der erste Funke springt, bis eine kleine Flamme brennt. Beharrlichkeit! Beharrlichkeit! Die Flamme überwindet Zeit und Raum. Sie wandelt sich. Sie schwingt in Wellen durch die Luft, als Ton, als Klang, pulsiert in Melodien, treibt in unbekannte Ohren, lodert im Gehirn. Sie wärmt im Wort, gesprochen, geschrieben, getrocknet im Schwarz der Buchstaben, verewigt auf Faserstoffen von Holz, sie brennt im Herz des Menschen, der liest, versteht und weiterträgt, sie wirkt im Bild, sie wirbelt im Tanz. Die Flamme beherrscht jedes Werk, das demselben Geist entspringt: Frei sein! Dieser Geist, der beharrlich einem Lächeln folgt.
Frei nach:
"Prometheus", Johann Wolfgang Goethe
"Prometheus in der Hölle", Albert Camus
"Freisein", Sabrina Setlur, Xavier Naidoo